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Am 30. Januar war Düzen Tekkal in unserer Aula zu Gast und hat vor rund 800 gebannt lauschenden Schülerinnen und Schülern der Gelderner und Straelener Schulen über das Thema "Demokratie leben - Einwanderungsland Deutschland" referiert.


Die jesidisch-deutsche Kurdin genießt als unabhängige Fernsehjournalistin, Autorin, Redakteurin und Kriegsberichterstatterin große Anerkennung. Sie ist Vorsitzende eines von ihr gegründeten gemeinnützigen Vereins für humanitäre Hilfe, hat einen Dokumentarfilm über die vertriebenen Jesiden im Sindschar-Gebirge gedreht, für den sie eigens in den Irak gereist ist, und kürzlich erst unter dem Namen ,,Deutschland ist bedroht“ ihr erstes eigenes Buch veröffentlicht. Die CDU-Politikerin ist national und international anerkannt als Expertin zu den Themen Jesiden, Islamismus und Salafismus und wird für ihre guten analytischen, empathischen und kommunikativen Fähigkeiten sowie ihre hohe interkulturelle Kompetenz gelobt. Ebenfalls anwesend war Neda el Saghir von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung.

Meitnerium: Frau Tekkal, Sie sprechen in ihrem Buch von den bösen Zwillingen religiöser Extremismus und Rechtsradikalismus als Bedrohung für Deutschland. Auf der anderen Seite betonen Sie aber immer wieder, dass man für eine gelebte Demokratie alle Mitglieder einer Gesellschaft braucht. Wie integriert man jene, die anderer Meinung sind oder sich ausgeschlossen fühlen?

Düzen Tekkal: Da fällt mir natürlich sofort dieses Zitat von Voltaire ein, dass man alles dafür tun muss, die Meinung des Anderen zuzulassen. Und in dieser Gemengelage befinden wir uns gerade in gesellschaftlich aufgewühlten Zeiten, wo es immer um ganz viel geht und wo die Meinungen konträrer nicht sein könnten. Jetzt ist es eben so, dass wir umgehen mit Menschen, die den Pfad der Demokratie verlassen. […] [Viele Menschen sind wütend, weil sie merken, dass Terrorpaten nicht sanktioniert werden] Ich habe die Erfahrung gemacht, dass wenn die Menschen das Gefühl haben, dass es zu einem Vollzugsdefizit kommt, und dass die Menschen, die deutsches Recht brechen, dafür nicht sanktioniert werden, dann ist das viel weittragender, als wir glauben. […] Und auf der anderen Seite, denke ich, dass sozusagen diejenigen, die adressiert sind von diesen Terrorpaten, also sprich auch Jugendliche, um die müssen wir eigentlich kämpfen. Gerade um die Problemkids müssen wir kämpfen. ,,Was ist dein Problem? Warum benimmst du dich so?“ […] Einfach so eine Aufmerksamkeit zu entwickeln. […] Das ist das, was ich meine, wenn ich sage, wir müssen wieder die besseren Sozialarbeiter werden. […] Und da höre ich schon auch oft von Lehrern, dass sie sich da auch mehr Unterstützung wünschen [beispielsweise durch] eine Aufstockung von Lehrern oder eben auch durchaus Lehrer mit Migrationshintergrund, die sozusagen auch vermittelnd tätig werden können. […] Aber auf der anderen Seite warne ich auch davor zu glauben, dass man nur die Integrationskompetenz hat, wenn man auch Migrationshintergrund hat, das stimmt nicht. Wenn ihr interessiert seid an diesem Thema, dann könnt ihr auch Experten werden auf diesem Gebiet. […]

Meitnerium: Sie haben eben in ihrem Vortrag auch sehr viel von Offenheit gesprochen und davon, dass wir auf andere zugehen sollen und als Angela Merkel im September 2015 die Grenzen für Flüchtlinge geöffnet hat, haben Sie sie für ihr zutiefst menschliches Handeln gelobt. Wie bewerten Sie den Umschwung in der Flüchtlingspolitik, der Zuwanderung, auch von Menschen in existenzieller Notlage, unter anderem durch die Einführung einer Obergrenze, nur noch bedingt ermöglicht?

Düzen Tekkal: Ich glaube, das ist auch eine Reaktion auf den inneren Frieden unserer Gesellschaft, auch wenn das ganz schwer nachvollziehbar ist. Aber leider ist nicht jeder so tolerant wie wir und es geht darum, auch Mehrheiten zu bedienen. Ich bin mir sicher, dass es ihr persönlich widerstrebt [..]. Diese Berufspolitiker müssen teilweise Entscheidungen treffen gegen ihre Überzeugung […] [und trotzdem immer versuchen,] offen für eine Gesellschaft zu kämpfen, die man selber für richtig erachtet [...] Und dass vieles sozusagen auch hinter dem Vorhang passiert, was wir hier so gar nicht mitbekommen, und die Kanzlerin in dieser Entscheidung Stimmungen bedient, und das muss auch alles berücksichtigt werden [...]

Hast du etwas dazu zu sagen?

Neda El Saghir: Ja, also ich habe diesen Umschwung ja auch miterlebt. Ich muss sagen, ich war richtig stolz auf die Aussage ,,Wir schaffen das!“ Das war so etwas, das hat viel in mir bewegt. […] Auf der anderen Seite muss man ja auch ehrlich zugeben, dass sich nicht alle Flüchtlinge bedankt haben und es gab ja auch Gründe, warum dieser Umschwung jetzt innerhalb der Partei stattgefunden hat. [...] Man sieht nicht die 80%, die die Kurse annehmen, die versuchen sich zu integrieren [...] man sieht nur die 20%, die es nicht tun und die sind dann natürlich eine Belastung und haben der AfD natürlich die ganzen Mitglieder zugeschoben [...] Wir haben in der Vergangenheit, was Flüchtlinge angeht, oft Fehler gemacht und wir lernen nicht daraus, die Leute hier zu integrieren. Mein Vater fühlt sich hier immer noch fremd, was für mich völlig unverständlich ist, wenn er erzählt: ,,Ich war hier Gastarbeiter und mit mir wollte keiner reden.“ Und heute wundert man sich, dass er nicht darüber spricht. Es ist eine Parallelgesellschaft entstanden [...]

Meitnerium: Wie stehen Sie zur Instrumentalisierung des IS-Konflikts durch die türkische Regierung?

Düzen Tekkal: Es ist übrigens ganz schwer für mich, darüber zu reden, auch in der Öffentlichkeit, weil ich sofort reduziert werde. Also, ich werde dann nicht als deutsche Staatsbürgerin wahrgenommen, sondern als Aktivistin. […] Früher hat man gesagt, das, was Erdogan macht, ist IS light, mittlerweile nimmt der die Dschihadisten mit rein und da wird gebetet, sozusagen, für diesen Krieg. Er missbraucht auch die Gläubigen. Denn in dem Moment, wo ich anfange, für einen Angriffskrieg zu beten, bin ich ja kein Gläubiger mehr. […] Und das, was Erdogan macht, hat mit Religion nichts zu tun, das ist Faschismus, aus meiner Sicht. Das vermischt er halt und er produziert halt dieses Lemming-Verhalten, indem er den starken Mann vom Bosporus spielt und sozusagen diese Neuverteilung der Welt auch nutzt und die Rolle der Türkei im Speziellen. Schlimm finde ich, dass er dafür auch Menschen missbraucht, die hier geboren und aufgewachsen sind. Unsere Hilfslosigkeit, die war ja nun bezeichnend, auch in den Monaten um das Referendum herum. […] Die Frage ist nur, was lernen wir daraus? […] Wir dürfen die religiöse Erziehung, gerade der Muslime, nicht nur in die Hände der Verbände geben. Also, wir müssen uns auch selber darum kümmern und wir müssen neben den konservativen Verbänden auch die liberalen Kräfte, sozusagen, zu Akteuren machen, [was schwer ist,] weil die Liberalen teilweise auch bedroht werden

Meitnerium: Man merkt anhand der Ergebnisse der aktuellen Bundestagswahl, dass Parteien, die extreme Meinungen und Positionen vertreten, wie die AfD beispielsweise, immer mehr gesellschaftlichen Zuspruch ernten für das, was sie tun. Deutschland ist natürlich nichts Homogenes, aber sehen sie dadurch die Demokratie in Bedrohung?

Düzen Tekkal: Man könnte sagen, ja und man kann sagen, nein. Weil auf der anderen Seite, finde ich, belebt es ja auch unsere Demokratie gerade. Weil es, wie gesagt, zeigt, es ist ja doch nicht alles so selbstverständlich. Ach, wir müssen ja wirklich etwas dafür tun. […] Es kommt darauf an, wie wir die Geschichte nutzen, letztlich. […] Ich denke, diese Sehnsucht nach einfachen Antworten hat auch mit der Digitalisierung zu tun, die dürfen wir ja in diesem Zusammenhang überhaupt nicht unterschätzen. […] Es gibt viele Menschen, die sich Gedanken machen darüber, was mit ihren Arbeitsplätzen passiert, wann und wie sie ersetzt werden, was sie letztlich noch wert sind für diese Gesellschaft. Auch das ist ein Punkt, eigentlich analog zu der Migrationsdebatte, den wir aber nicht so richtig formulieren und wo es noch viele, viele Fragezeichen gibt und ich glaube, diese Gemengelage sorgt dann eben auch für diese Radikalisierung und dieses ausgeprägte Nationalbewusstsein, was wir ja europaweit haben.

Meitnerium: Wenn Sie von der Macht des Einzelnen sprechen … was können denn wir als gewöhnliche Bürger oder als Jugendliche konkret unternehmen, damit es möglich ist, Demokratie wieder aktiver zu leben?

Düzen Tekkal: Indem du zum Beispiel so tolle Fragen stellst wie heute, indem ihr euch damit auseinandersetzt, indem ihr darüber schreibt, die Geschichten von Menschen erzählt, nahbar und sichtbar macht. Heute braucht man gute Journalisten, die sind im Moment Gold wert. […] Unterschätzt euch da nicht. Ihr seid keine einfachen Bürger […] Und wie Gemengelagen verändert werden können, hängt auch immer davon ab, wie ich mich selber sehe […]. Ob ich das, was ich tue, auch wichtig finde und adressieren will und einen Willen habe, oder ob ich sage, ,,das bringt ja eh nichts“. Das ist gefährlich und ich erwische mich manchmal selber dabei, wie ich denke, ,,bringt ja ah nichts“ oder ,,es ist frustrierend“. Natürlich kenne ich das. Und dann kommen aber auch wieder Momente, wo man merkt, ,,Ok, weiter so“.

Meitnerium: Denken Sie, dass die Erstarkung des Rechtspopulismus möglicherweise mit einer unzureichenden Berichterstattung zusammenhängt? Häufig erfolgt die Berichterstattung einseitig und emotionsbelastend. Ist das vielleicht auch der Fehler, der der Bundesregierung unterlaufen ist?
Düzen Tekkel: Ich finde, das ist eine ganz wichtige Frage, die du stellst. Weil das Problem ist - gerade wir Journalisten, wir arbeiten problemorientiert. Das heißt, eine gute Geschichte ist keine Geschichte, wurde mir einmal beigebracht, was ich nie geglaubt habe. Aber es war immer so. Wenn ich meinem Redaktionschef eine Geschichte vorgelegt habe, hat er mich gefragt, ,,Wo ist das Problem?“. „Da ist kein Problem“. „Bist du Klassenkämpferin oder Redakteurin?“ Der hat gar nicht verstanden, was ich da versucht habe. […] Es geht halt darum, welche Profile vermittelt werden, und ich glaube schon, dass wir auch medial und politisch da eine Menge zu tun haben, jetzt in den nächsten Jahren. Das merkt man ja auch an dem Rechtspopulismus, der im Osten ausgeprägter ist und leider in den Orten, wo kaum Migranten sind. Da sieht man auch wieder die Macht der Begegnung. […]

Das Interview führten die RedakteurInnen von der Schülerzeitung des LMG „MeitneriuM“: Lena Bexte, Diana Widera und Celestino Sternberg